Als ich mit der Serie "Hamburger Menschen" gestartet bin, habe ich eine bunte Mischung von Menschen, die ich gerne mag und die für ihre Jobs "brennen", gefragt ob sie mitmachen würden. Dies ist über ein halbes Jahr her und in dieser Zeit habe ich (und ich hoffe auch ihr) tolle Geschichten aus deren Leben gelesen.
Einer der Ersten, die angefragt wurden war Jörg ... bei den Geschichten die nun in dem heutigen Interview zu lesen sind, hat sich das Warten wahrlich gelohnt.
Wir sind uns vor über drei Jahren in Hamburg zum ersten Mal nach dem Fußballspiel FC St.Pauli gegen Borussia Dortmund begegnet ... der BVB hatte 3:1 gewonnen und ihr könnt euch denken, wie das Gespräch verlief?! Tut heute aber auch nix mehr zur Sache, so ist das eben mit Fußball, mittlerweile habe ich einiges an Kunst bei ihm gekauft und ihn außerhalb des Fußballstadions wiedergetroffen. Das könnt ihr auch, zum Beispiel bei der Millerntorgallery im St.Pauli Stadion ab dem 29.05.2014. Jetzt erstmal das Interview:
Wer bist du? Woher kommst du? Seit wann bist du in Hamburg?
Jörg Heikhaus. Gründer der Galerie heliumcowboy artspace, unter dem Namen Alex Diamond mache ich aber auch selber Kunst. Ich bin in Köln geboren und lebe seit 1998 in Hamburg.
Jörg 2014. Copyright heliumcowboy
Erzähl mal von deinem Beruf?
Tja, was genau ist eigentlich mein Beruf? Irgendwas mit Kunst ... ich hol mal ein bisschen aus:
Angefangen habe ich eigentlich als Künstler, so am Ende meiner schulischen und am Anfang meiner beruflichen Karriere Ender der 80er. Aber das war natürlich kein Beruf, von dem ich damals leben konnte. Deshalb habe ich nebenbei immer gearbeitet seitdem ich 16 bin, einfach um Geld zu verdienen, egal ob auf Schicht in der Stahlindustrie, als Plakatmaler für Musikclubs und Jugendzentren oder als schreibender Fotograf für Lokalblättchen in Köln.
Ich habe dann aber relativ schnell richtig gute Jobs bekommen, die mich von der puren Künstlerkarriere abgehalten haben. So habe ich unter anderem in der Kölner Musikszene als Grafiker, Fotograf, Autor und Bandmanager gearbeitet, alles natürlich freiberuflich und ohne Studium. Und plötzlich, in der Wendezeit, bekam ich einen festen Redakteursposten bei einer großen Tageszeitung im Osten angeboten. Da war ich dann erstmal Vollzeitjournalist in einer politisch und gesellschaftlich wahnsinnig aufregenden Zeit in unserem Land. Lange Geschichte. Tolle Geschichte ... ein anderes mal.
Von dort aus bin ich dann erstmal ein Jahr lang um die Welt gereist, habe eine Familie gegründet, wieder in Köln Kunst gemacht und in Galerien ausgestellt und gemeinsam mit einem australischen Bildhauer namens John Peplow die Firma killakanu gegründet, eine Agentur für ,Neue Medien‘, wie das in den Anfängen von Internet und CD-Rom noch hiess. John und ich hatten eine sehr spezielle Bildsprache, extrem untypisch für Agenturen damals. Aber es war ja auch ein völlig neues Medium. Wir haben die eher eingeschränkten technischen Möglichkeiten im Online-Bereich Mitte der 90er Jahre visuell immer extrem herausgefordert und dadurch großartige Kunden und Projekte gewinnen können. Das fanden schliesslich einige schwedische Internet-Entrepreneure so aufregend, dass sie mit uns gemeinsame Sache machen wollten und wir dann 1998 von Köln nach Hamburg zogen, um eine ziemlich große, börsennotierte Internetberatung aufzubauen.
Das war alles unglaublich spektakulär und spannend zu Beginn der sogenannten New Economy ... das ist aber wohl noch eine Geschichte, die ein anderes Mal erzählt werden muss ... Letztendlich habe ich ein paar Jahre später dann aber doch endgültig zur Kunst zurückgefunden - es wurde einfach Zeit. Meine erste Ausstellung in Hamburg fand 2001 im legendären Art Store St.Pauli statt. Die hatte den wunderschönen Titel ,All my friends for sale‘ ...
Ein knappes Jahr später habe ich dann die Galerie heliumcowboy artspace eröffnet - quasi als konsequente Konsolidierung meiner gesammelten beruflichen Erfahrungen und meiner Leidenschaft. Ich glaube, dass fast jeder Job, den ich zuvor gemacht habe, extrem wertvoll war für den ,Beruf‘ des Galeristen: Die eigenen Erfahrungen als Künstler und Handwerker, in Marketing und Presse, als Vorstand eines großen Unternehmens, gespickt mit dem ,entrepreneurial spirit‘, dem Drang und der Energie, gemeinsam mit und für andere etwas Bedeutendes zu schaffen, das auch wirtschaftlich aufgeht ... das alles kann man als Rüstzeug für den Kunsthandel ganz gut gebrauchen, schliesslich ist es recht hilfreich, wenn der Galerist seine Künstler in den Bereichen ergänzt, in denen sie sich nicht auskennen, um ihnen die größtmögliche Rückendeckung zu geben und die Freiräume zu ermöglichen, ihr Potential zu entfalten.
Ich erzähle etwas zur Arbeit von Jo Fischer hinter mir, auf der PREVIEW Berlin, 2010. Fotografiert von Jo Fischer.
Irgendwie hat das ja auch alles ganz gut geklappt dann: heliumcowboy, gegründet im Schatten des Millerntorstadions auf dem ehemaligen Schlachthofgelände St. Pauli, war eine der ersten und vermutlich auch erfolgreichsten Galerien Europas, die abseits vom traditionellen Elitedenken des Kunstmarkts eine neue Generation urban geprägter Künstler etablierte - und dies nicht nur in über 100 Ausstellungen in Hamburg, sondern weltweit, mit zahlreichen Messeteilnahmen und Projekten zum Beispiel in New York, Miami, Basel, Barcelona oder London.
Inzwischen aber ist das klassische Galeriemodel in meinen Augen jedoch nicht mehr zeitgemäß. Der Kunstmarkt braucht neue Strategien, die Galerie als traditioneller Schau- und Verkaufsraum wird immer unwichtiger, vor allem aber unrentabler.
Auch die Rollen verändern sich, allein schon dadurch, dass Künstler immer besser in der Selbstvermarktung werden, und das bei einem schwindenden Markt ... das Geschäft mit der Kunst ist im Wandel, und damit ändern sich auch die Berufsbilder. Der Galerist als Behüter von exklusiven ,Besitzrechten‘ und Spezialwissen gehört mehr und mehr der Vergangenheit an. Der Galerist von heute ist viel eher ein ,Enabler‘, ein sehr flexibel aufgestellter Agent. Jemand, der Netzwerke knüpft, auch ungewöhnliche Partnerschaften eingeht und neue individuelle Strategien entwickelt, sowohl aus künstlerischer als auch aus wirtschaftlicher Sicht, und das jeweils unmittelbar bezogen auf die Person, das Werk und das Umfeld des einzelnen Künstlers.
Alles Überlegungen, die zuletzt dazu geführt haben, dass es um heliumcowboy etwas ruhiger geworden ist. Denn natürlich mache ich inzwischen viele Dinge anders. Ich konzentriere mich zum Beispiel auf wenige, ganz besondere Ausstellungen und Kunstprojekte, die auch nicht unbedingt in meinen Räumen stattfinden müssen und durchaus auch gerne mit anderen, gleichberechtigten Partnern gemeinsam durchgeführt werden. Derzeit bereite ich zum Beispiel zwei bis drei größere Aktionen für Herbst und Winter vor, anstatt ein regelmässiges Programm zu fahren. In der zweiten Jahreshälfte ist es mit der Ruhe aber erstmal vorbei ... stay tuned.
In der Galerie in Hamburg, Kochen für ein Sammler-Dinner. Copyright heliumcowboy
Ein weiterer Grund für meine reduziertere heliumcowboy-Aktivität liegt aber natürlich auch darin, dass ich mich wieder verstärkt um meine eigene Kunst kümmere, die ich seit 2004 unter dem Namen Alex Diamond mache. Vor allem meine Holzarbeiten sind so komplex und aufwändig geworden, dass ich mich dafür auch schonmal tagelang aus dem Betrieb auf der Ranch, wie wir immer schon liebevoll unser heliumcowboy-Hauptquartier nennen, ausklinken muss.
Alex Diamond bei der Arbeit. Copyright heliumcowboy
Was machst du, wenn du nicht arbeitest?
Vor allem in Familie! Und: Basketball spielen. Boxen. Kochen. Ausstellungen besuchen. Gitarre schrammeln. Den FC St. Pauli anfeuern. Ich trinke auch sehr gerne Kaffee und wirklich gutes, handgemachtes Bier. Und das am liebsten mit Freunden.
Im Augenblick ist meine Work-Life-Balance ziemlich ausgeglichen.
In welchem Stadtteil von Hamburg lebst du? Möchtest du nochmal in einem Anderen wohnen?
Grindelviertel. Also Rotherbaum ist das, glaube ich. Ist schon okay hier, nicht sonderlich spektakulär, aber schön ruhig, familienfreundlich und absolut zentral. Die Kinder fühlen sich wohl. Spiel-, Bolz- und Streetball-Platz: alles direkt vor der Tür. Deshalb denken wir auch nicht über andere Stadtteile nach. Eher über die North Pacific Coast (siehe nächste Frage).
Wo würdest du dein Traumhaus bauen?
In der Wildnis Nordamerikas, entlang der North Pacific Coast.
Was macht Hamburg für dich zur Kulturstadt #1?
Hamburg ist nicht Kulturstadt #1.
Wie will man so etwas überhaupt bemessen? Anzahl der Musicals?
Also: wir haben eine ausgezeichnete, kreative Szene in der Stadt. Und viele engagierte, vor allem kleinere Galerien, Off-Spaces, Clubs, Verlage, Buchläden, und so weiter. Und tolle große Veranstaltungen wie das Reeperbahn-Festival, die Millerntor Gallery, das Dockville, inzwischen zähle ich auch die P/ART dazu. Da liegt Hamburg sicherlich auf den vorderen Plätzen, was deutsche Großstädte angeht. Aber ansonsten gibt es in allen Bereichen auch noch ganz viel Luft nach oben.
Warum Hamburg und nicht Berlin oder New York?
Ich mag Berlin, will da aber nicht leben. New York könnte ich mir schon eher vorstellen, da war ich ja auch schon ganz oft. Hamburg ist schwer okay, meine Heimat Köln mag ich aber mindestens genauso gerne. Es ist eher so, dass ich hier angeschwemmt wurde, und weil man hier sehr gut leben kann, ich großartige Menschen um mich habe und es Wasser, viel Grün und relativ frische Luft gibt, sind wir hier geblieben. Vorerst.
Alster oder Elbe?
Elbe. An meinem allerersten Tag in Hamburg im August 1998 habe ich bis in den frühen Morgen mit einem guten Freund am Elbstrand im Sand gesessen, Bier getrunken, Schiffe gezählt und Sterne geguckt.
Wieviel Stunden am Tag ist dein Smartphone an?
Nachts ist es immer aus. Hängt also davon ab, wieviel ich schlafe. Das ist allerdings nie besonders
viel.
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Die Menschen in dieser Stadt kaufen zu wenig Kunst SPONTAN und AUS LEIDENSCHAFT! Das muss sich ändern. Hamburg ist prinzipiell ja eine sehr gute Stadt für bildende Künstler und kleine, feine Galerien, aber die werden alle nicht satt, weil hier die Entscheidungen beim Kunstkauf viel zu sehr aus dem Kopf als aus dem Bauch heraus getroffen werden. Was aber kompletter Unsinn ist - Kunstkauf ist niemals rational.
Wer schonmal den Nordamerikanern/Südamerikanern/Italienern/Franzosen/etc. beim Kunst kaufen zugesehen hat, weiss, wie viel Spass es machen kann, wenn man sich seinen Emotionen hingibt und nicht ständig in die Künstler-Vita nach dem Namen der Hochschule schielt, sich den Segen bei den sogenannten Experten holt oder den Erwerb vom Ort abhängig macht.
Also: Trust your instincts.
Alex Diamond bei der Arbeit. Copyright heliumcowboy
Lieblingssong des Moment?
,Old Number Seven‘ von The Devil Makes Three. Ach nee, eigentlich grad alles von The Devil Makes Three ... Spielt sich auch großartig DIY, da sitzt man im Kopfkino immer sofort am Lagerfeuer.
Lieblingssong forever?
Sowas gibt es gar nicht für mich. Dafür habe ich in meinem Leben einfach schon zuviel herausragende Musik gehört. Lieblingssongs gehören für mich mehr zu Stimmungen und Momenten, und sind Teil meiner Geschichte.
Welche drei Plätze sollte man in Hamburg unbedingt gesehen haben:
Das Millerntor-Stadion an einem Heimspieltag. Idealerweise abends, bei Flutlicht.
Den Hafen. Und zwar vom Wasser aus.
Die
Neustadt - mit ihren tollen Kunstorten wie
u.a. Gängeviertel, Feinkunst Krüger, Galeria Gudberg, Kulturreich und
natürlich heliumcowboy.
Möchtest du noch jemanden grüßen, hier ist Platz dafür:
Meine Mutter. Weil ich sie nicht zum letzten Muttertag angerufen habe. Und sie alles immer so gerne liest, was über mich oder von mir veröffentlicht wird: Hi Mom!
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