Ich bin so stolz, meinen heutigen Gast, Anastasia, in der Reihe Hamburger Menschen, begrüßen zu dürfen. Unter anderem, weil ich sie ohne Ãœberlegung als ein Vorbild aufzählen kann, sie ist voller Ideen, Mut, Liebe und Stärke – allerdings getreu dem Motto „Stärke braucht keine Muskeln“. Sie hat in ihrem Alter schon sehr viel mehr erschaffen, als es andere wohl ihr Leben lang tun. Ich möchte gar nicht so viel verraten, lest mal selbst, was Anastasia Umrik zu erzählen hat:
Wer bist du?
Ich bin Anastasia, 27 Jahre alt und ich lache, philosophiere und diskutiere bis zum Umfallen gerne. Morgens komme ich kaum aus dem Bett, abends kaum ins Bett. Irgendwann habe ich es akzeptiert: Ich arbeite ab 19 Uhr einfach am effektivsten! Über meine Arbeit, die mich zu einem großen Teil ausmacht, werde ich unten erzählen, aber jeder ist (hoffentlich) so viel mehr als nur der Job.
Zum Beispiel gibt mir das Geräusch einer laufenden Waschmaschine das Gefühl von „Gemütlichkeit“. Der Geschmack des trockenen Rotweins in Kombination mit lauter Musik motiviert mich, unangenehme Aufgaben (Steuererklärung) zu erledigen. Meine eigene Macke, ständig auf das Handy schauen zu müssen, ist etwas, was mich bei anderen am Meisten sehr nervt. Wollen wir uns nun unterhalten oder nicht?! Naja, ich werde diesen Punkt ganz groß auf die Liste der neuen Vorsätze für 2015 schreiben und wenn ich mich selbst besser im Griff habe, dann darf ich das auch von anderen erwarten, finde ich. Oder wir gehen alle gemeinsam nur noch auf Veranstaltungen, wo das Twittern und Posten sogar gewollt ist. Yay!
Übrigens sitze ich wegen einer Muskelerkrankung (spinale Muskelatrophie) im Rollstuhl. Das ist zwar nicht direkt eine Eigenschaft meiner Persönlichkeit und nicht allzu sehr bedeutungsvoll, aber ich räume gern die Fragezeichen aus dem Weg. Dass ich auf einen Rollstuhl angewiesen bin, sieht jeder und warum das so ist, ist kein Geheimnis. Man darf mir diesbezüglich jederzeit Fragen stellen, ich bin da sehr entspannt.
Grundsätzlich weiß ich nur selten, wer ich bin. Gott sei Dank! Der Tag, an dem ich alles verstanden und verinnerlicht habe, an dem möchte ich zufrieden sterben.
Woher kommst du?
Die ersten sieben Jahre meines Lebens habe ich in dem kasachischen Dorf „Gordeevka“ verbracht. Es war genauso, wie wir es aus den Reportagen auf 3sat kennen: Chaotisch, wild, mit Tieren auf dem Hof, (für deutsche Verhältnisse) dreckig, aber sehr familiär und herzlich. Ich habe großartige Erinnerungen an meine Kindheit!
Seit wann bist du in Hamburg?
Seit zwanzig Jahren. Es war nie geplant, und ich schließe es nicht aus, irgendwann zu gehen – ich warte nur noch auf die passende Gelegenheit. Aber ich werde wiederkommen, bestimmt!
Erzähl mal von deinem Beruf?
Kurz:
www.anastasia-umrik.de
www.inkluwas.de
www.anderstark.de
Aber jetzt mal langsam.
Nach dem Umzug nach Deutschland wurde ich auf eine Schule für Körperbehinderte eingeschult. Das war mein erster Kontakt mit Menschen mit Behinderung und das war auch die Zeit, in der ich angefangen habe zu verstehen, dass ich mich von Kindern ohne Behinderung unterscheide. Ich träumte davon, irgendwann die Welt verändern zu können und gab alles, um an die Uni zu kommen. Es folgten alle Schulabschlüsse nacheinander (die Noten waren im Ãœbrigen immer „ok“, nie herausragend), dann die Ausbildung bei OTTO zur Groß- und Außenhandelskauffrau. Irgendwann studierte ich endlich „Soziale Arbeit“ und merkte recht schnell, dass es nicht der richtige Weg war ... und probierte weitere Sachen aus.
Ich wollte doch zumindest ein bisschen die Welt verändern!
2011 gründete ich „anderStark – bewegend anders“, das zunächst ein reines Fotoprojekt („Stärke braucht keine Muskeln“) war, bei dem Frauen mit einer Muskelerkrankung außergewöhnlich in Szene gesetzt wurden. Das Projekt sollte Blickwinkel verändern, neue Welten aufzeigen und offen mit Vorurteilen gegenüber Frauen mit einer sichtbaren Behinderung umgehen. Im Sommer 2013 fand die erste große Vernissage der Bilder mit zusätzlicher Fashionshow statt. Dieser Tag hat mein Leben verändert und ich habe realisiert, dass „Stärke braucht keine Muskeln“ nicht einfach nur ein Fotoprojekt war; es darf nicht aufhören! anderStark ist meine große Leidenschaft, ich stecke sehr viel Liebe, Energie und Zeit in die Projekte des gemeinnützigen Vereins.
Übrigens, das Besondere bei der Fashionshow ist, dass die Mode im Fokus steht, und ab und zu huscht ein Model mit einer sichtbaren Behinderung über den Laufsteg... anderStark wird immer größer, bekannter und internationaler. Nächstes Jahr im Mai findet die nächste große Modenschau statt, bei der Models mit und ohne sichtbare Behinderung die neuesten Kreationen von Hamburger Designern präsentieren. So sah das letztes Jahr aus:
Die neue Kampagne, an der ich mit der wunderbaren Designerin Kathrin Neumann arbeite, heißt „inkluWAS – design, das denken verändert“; genau genommen soll das Denken über Inklusion verändert werden. Mit Mode. Mit einem Design. Denn: Sind wir nicht alle ein bisschen anders?
Vor ca. zwei Jahren frühstückten Kathrin und ich zusammen und ich sagte: „Mensch, wir sollten mal was zusammen starten! Du kannst Mode, ich kann ... auch vieles – zusammen wären wir unschlagbar!“ Eine Woche später zeigte Kathrin mir ihre Entwürfe und wir legten los. Puh! Und plötzlich, wie aus dem Nichts, wurde „inkluWAS – design, das denken verändert“ geboren. Durch den Verkauf unterstützen wir weitere soziale Projekte deutschlandweit.
Jeder findet sich selbst in unserem Design wieder: www.inkluwas.de
An kalten Tagen sitze ich am liebsten in Cafés (klein, warm, schön) und schmiede Pläne für die nächsten Tage, Wochen und Monate. Nur ein Notizheft und ein Kuli sind meine Begleiter, und ich erlaube es mir, meine Gedanken fließen zu lassen, Ideen aufzuschreiben und träume vor mich hin. Zu Hause angekommen habe ich dann immer das Gefühl sehr hart gearbeitet zu haben ... (Die Ideen setze ich dann aber auch meistens um.)
In meinen Gedanken gibt es nur wenig Grenzen.
Was wäre dein Job, würdest du nicht das machen was du jetzt machst?
Ehrlich gesagt träume ich schon sehr lange von einem eigenen Café. Ab und zu, wenn ich nicht mehr an meine Arbeit denken mag / kann, male ich mir aus, ein kleines, süßes Café, in dem jeder willkommen ist und in dem es immer nach einem frisch gebackenen Apfelkuchen riecht, aufzumachen. Und das Café hat kein (!) WLAN, es liegen keine Zeitschriften aus – die Besucher kommen, weil sie sich unterhalten wollen ...
Aber so ein Café ist für mich irgendwie etwas Romantisches. Das würde ich gern mit meinem Partner aufmachen – den es gerade nicht gibt.
Was machst du, wenn du nicht arbeitest?
Freunde treffen! Ich vermisse manchmal meine Freunde, bei denen es niemals darum geht, ob und wie erfolgreich / engagiert ich bin.
Und ich liebe es, Zeit zu haben, um gute Bücher zu lesen. Das letzte gute Buch, das ich gelesen habe war „Hanna und Sebastian“ von Thomas Klugkist. Wer eine klassische Liebesgeschichte erwartet, wird enttäuscht sein. Das Buch hat mich verändert. Irgendwie.
In welchem Stadtteil von Hamburg lebst du?
Rothenburgsort, ein Stadtteil, den die Meisten nicht kennen. Hier gibt’s auch nix, nur eine Dönerbude und nette Menschen.
Ich fahre übrigens extra wegen dieser Dönerbude einen Umweg, sie ist so lecker! Möchtest du nochmal in einem Anderen wohnen?
Ich wollte mal in die Schanze ziehen, in Altona täglich Kaffee trinken gehen und auf St. Pauli meine Freunde öfter sehen. Das habe ich dann schnell abgelegt, weil, sehr simpel: In Hamburg gibt es kaum barrierefreie Wohnungen! Ich halte an meiner fest. (Sie ist wunderschön, nicht nur ebenerdig.)
Wo würdest du dein Traumhaus bauen?
In den Alpen. Ich mag die Berge! Aber gegen ein Haus am Meer hätte ich nichts und würde dort Tag und Nacht an meinem Buch schreiben ...
Was macht Hamburg für dich zur Kulturstadt #1?
Das Erste was mir bei 'Hamburg' einfällt, ist: Wenn du reden willst, findest du jemanden zum Reden. Wenn du schweigen willst, quatscht dich keiner zu.
Aber es geht ja um Kultur im klassischen Sinne ... Hier gibt es einfach ALLES und für jeden Geschmack, trotzdem scheint die Stadt entspannt und nicht überfüllt, wie sich das oft z.B. in Berlin anfühlt.
Was würdest du ändern, wenn du Bürgermeister wärst?
Aus egoistischen Gründen, würde ich die Stadt Hamburg zur ersten barrierefreien Stadt in Deutschland wandeln. Es gäbe innovative Lösungen für Stufen und keiner müsste jemals enttäuscht nach Hause gehen, weil man aufgrund von Barrieren nicht in ein Gebäude kommt. Das Wort „Inklusion“ würde gar keiner kennen, weil es überflüssig wäre.
Warum Hamburg und nicht Berlin oder New York?
Versteht mich nicht falsch, ich mag Hamburg, inzwischen liebe ich es sogar hier zu sein. Aber ich lebe nicht in Berlin oder New York, weil es sich bisher nicht ergeben hat, ich warte auf die richtige Gelegenheit dazu.
Alster oder Elbe?
Ich mag beides – Hauptsache Wasser - sogar das Planschbecken oder die heiße Dusche.
Aber grundsätzlich: Meer. Immer immer mehr vom Meer.
Wie viele Stunden am Tag ist dein Smartphone an?
Es ist peinlich, weil es mir durch das Tippen noch bewusster wird: Ich bin quasi immer erreichbar. Meine erste Tat nach dem Augenaufschlag am Morgen ist der Griff zum Smartphone. Zu meiner kleinen Verteidigung muss ich aber sagen, dass wenn mir mein Gegenüber wichtig ist (und das ist meistens der Fall), dann vergesse ich das olle Ding. Und im Funkloch bin ich auch offline, aber das zählt nicht oder?
Keine Frage, Platz für deine Antwort oder was du loswerden möchtest:
Lieblingsspruch: Wer kann, der kann, ne?
Lieblingshashtag: #ausGründen
Lieblingssong des Moments?
Flo Mega – Du bist eine Blume
Lieblingssong forever?
Dendemann – Endlich Nichtschwimmer
... bei Liebeskummer: Al Green – How can you mend a broken heart
Drei Plätze, die man sich in Hamburg unbedingt angeschaut haben sollte:
- Café Brooks: Ein Café, in dem immer Frieden herrscht. Egal wie gestresst oder müde man ist, dort findet man Ruhe. Übrigens ist das ein super Ort für das erste Date!
- Chapeau: Schick, lecker, immer angenehme Atmosphäre!
- Wilhelmsburg: Ich habe diesen Stadtteil für mich entdeckt und gehe dort sehr gern spazieren oder in die „Honig Fabrik“ zur Jam Session.
Möchtest du noch jemanden grüßen, hier ist Platz dafür:
Ich grüße meine Mama. Neulich rief sie mich an und sagte: „Mensch, Kind, inzwischen sehe ich dich öfter im Fernsehen als bei mir Zuhause. Komm doch mal wieder vorbei oder grüß' mich zumindest wenn du wieder gefilmt wirst.“ Ich werde zwar nicht gefilmt, aber grüße dich, liebe Mama, trotzdem ganz lieb.
Und ich grüße all' die Menschen, die an meine Ideen glauben – sogar dann, wenn ich selbst merke, dass ich totalen Müll erzähle.
Was für eine tolle, starke, schöne und wundervolle Frau ....
AntwortenLöschen